Im Jahr 2002 haben die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin eine gemeinsame Ordnung für die Arbeit der Notfallseelsorge erarbeitet und beschlossen.

Ordnung der Notfallseelsorge in Berlin

Unterzeichnet am 11.9.2002


1. Allgemeine Bestimmungen

1. 1 Grundlage der Notfallseelsorge 

Notfallseelsorge (NFS) ist seelsorgerliche Erste Hilfe für Menschen in Notfällen und Krisensituationen. Ihr Angebot gilt allen Menschen unabhängig von ihrer religiösen Bindung. 

Sie geschieht im Geist ökumenischer Offenheit und versteht sich als Angebot für Opfer und Zeugen eines Unglücks, Angehörige und Einsatzkräfte. 

Notfallseelsorge ist ein Grundbestandteil des Seelsorgeauftrages der Kirche: In Situationen der Not und Bedürftigkeit möchte sie im Bewusstsein des Auftrages Jesu Christi, Leidenden nahe zu sein, den Betroffenen Beistand geben und sie in Krisenmomenten helfend begleiten. 

1.2 Begriff und Leitsätze 

Notfallseelsorge geschieht in kirchlicher Verantwortung. Sie arbeitet auf der Grundlage der Kasseler Thesen (als Anhang beigefügt). "Notfallseelsorge" ist ein gesetzlich geschützter Begriff. 

1.3 Geltungsbereich 

Diese Ordnung gilt für die Notfallseelsorge auf dem Gebiet des Landes Berlin. 


2. Aufgaben und Einsatzindikationen

2.1 Aufgaben 

Zu den Aufgaben der Notfallseelsorge gehören: 

  • - Betreuung von verletzten, verunfallten und geschädigten Menschen und deren Angehörigen
  • Begleitung von Einsatzkräften (z.B. bei der Überbringung einer Todesnachricht)
  • Hilfe für Helfer und Helferinnen nach schwierigen und langwierigen Einsätzen
  • Gebet, Segen und Sakramentenspendung

2.2 Einsatzindikationen

Die NFS leistet Hilfe in Krisensituationen unter anderem in folgenden Fällen: 

  • erfolglose Reanimation im häuslichen Bereich
  • plötzlicher Kindstod
  • sonstiger Todesfall im häuslichen Bereich
  • Selbsttötung oder Selbsttötungsabsicht 
  • Überbringen der Todesnachricht
  • Haus- und Wohnungsbrand, Explosion und entsprechende Evakuierungsmaßnahmen
  • Delikte am Menschen (Kindesmisshandlung, Vergewaltigung, Tötung)
  • Geiselnahme/Entführung 
  • gravierender Verkehrsunfall
  • Fahrgastunfall
  • Unfall im gewerblichen oder industriellen Bereich

3. Träger

Träger sind die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin (Katholische Kirche). 

4. Struktur

4.1 In der Notfallseelsorge Tätige 

Notfallseelsorge wird grundsätzlich geleistet von Pfarrern/Pfarrerinnen bzw. Priestern ihrer Kirche oder anderen von ihren Kirchen beauftragten Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen mit theologisch-pastoraler Ausbildung. 
Sie haben entsprechend der Ordnungen ihrer Kirchen das Beichtgeheimnis zu wahren und sind an die seelsorgerliche Schweigepflicht gebunden. Pfarrer/Pfarrerinnen und Priester besitzen als Geistliche das Zeugnisverweigerungsrecht über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden ist. 
Hinsichtlich des Zeugnisverweigerungsrechts stehen ihnen die von ihnen beauftragten Helferinnen und Helfer gleich. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts der Helferinnen und Helfer entscheiden die Pfarrer/Pfarrerinnen und Priester, die sie beauftragt haben, es sei denn, dass diese Entscheidung in absehbarer Zeit nicht herbeigeführt werden kann. 

4.2 Koordinierung 

Das Koordinierungsteam besteht aus der/dem Beauftragten für Notfallseelsorge in Berlin der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der/dem Verantwortlichen des Erzbistums Berlin und arbeitet in ständigem gegenseitigen Austausch. 

Das Koordinierungsteam trägt einvernehmlich Sorge für 

  • die Einsatzfähigkeit der NFS in Berlin 
  • die Aus- und Fortbildung 
  • die Supervision 
  • die Verwaltung der NFS 
  • die Kooperation mit Partnern der NFS 
  • die Öffentlichkeitsarbeit 

Kann das Einvernehmen nicht hergestellt werden, werden das Leitungsteam (siehe 4.3) und die Träger in die Entscheidungsfindung einbezogen. 

Das Koordinierungsteam erarbeitet den jährlichen Rechenschaftsbericht für die Träger. 

4.3 Leitungsteam 

Das Leitungsteam der Notfallseelsorge Berlin besteht aus bis zu zehn evangelischen und katholischen jeweils durch den Erzbischof bzw. das Konsistorium beauftragten Seelsorgern/Seelsorgerinnen entsprechend den in 4.1 genannten Bestimmungen sowie dem Koordinierungsteam. 

Das Leitungsteam arbeitet in kollegialer Verantwortung. 

  • Es erarbeitet die Dienstpläne. 
  • Es sorgt für die Qualitätssicherung. 
  • Es hält den Kontakt zum Beirat und bereitet konzeptionelle Entscheidungen vor. 


Die zum Leitungsteam gehörenden Seelsorger/Seelsorgerinnen befinden sich abwechselnd eine Woche lang in Rufbereitschaft ("diensthabender Notfallseelsorger/diensthabende Notfallseelsorgerin"). 

Sie sind auch über die Woche ihrer jeweiligen Rufbereitschaft hinaus bereit, ein Funktelefon zu tragen, um nach Möglichkeit schnell auf größere oder außergewöhnliche Ereignisse reagieren und den jeweils diensthabenden Notfallseelsorger/die jeweils diensthabende Notfallseelsorgerin unterstützen zu können. 

Zu den Voraussetzungen für die Mitarbeit im Leitungsteam gehören: 

  • mehrjährige Berufserfahrung 
  • Klinische Seelsorge-Ausbildung (KSA) oder vergleichbare Qualifikation 
  • Grundausbildung in NFS 
  • Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs für Notfallsituationen in der Betreuung 
  • regelmäßige verbindliche Teilnahme an Fort- und Weiterbildung 
  • Einweisung in den Dienst 
  • Hospitation in den Behörden für Ordnung und Sicherheit (BOS) 
  • Hospitation im Rettungsdienst und Katastrophenschutz 
  • Bereitschaft zur Supervision 
  • nach Möglichkeit die Ausbildung zum Leitenden Notfallseelsorger/ zur Leitenden Notfallseelsorgerin 


4.4 Leitender Notfallseelsorger/ Leitende Notfallseelsorgerin 

Bei einem Großschadensereignis, bei dem mehrere Notfallseelsorger/ Notfallseelsorgerinnen benötigt werden, übernimmt der diensthabende Notfallseelsorger/ die diensthabende Notfallseelsorgerin zunächst die Aufgabe der Koordination für die NFS im Einsatz. In Absprache und mit Zustimmung des diensthabenden Notfallseelsorgers/der diensthabenden Notfallseelsorgerin kann diese Aufgabe dem Seelsorger/der Seelsorgerin der einsatzleitenden Organisation übergeben werden (z. B. Feuerwehrseelsorger / Feuerwehrseelsorgerin oder Polizeiseelsorger/ Polizeiseelsorgerin). 

4.5 Örtliche Notfallseelsorger/ Notfallseelsorgerinnen 

Die örtlichen Notfallseelsorger/Notfallseelsorgerinnen erfüllen neben der in 4.1. genannten Bestimmung in der Regel folgende Voraussetzungen: 

  • Grundausbildung in der Notfallseelsorge 
  • Teilnahme an Fort- und Weiterbildung (z.B. in Psychologie und Traumatologie) 
  • Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs für Notfallsituationen 
  • Einweisung in den Dienst 
  • Kenntnisse in der Arbeitsweise von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst (z.B. Hospitation) 
  • Bereitschaft zur Supervision 
  • Bereitschaft zu einer zusätzlichen Seelsorgeausbildung (z.B. Klinische Seelsorgeausbildung) 

4.6 Notfallhelfer/ Notfallhelferin 

Der diensthabende Notfallseelsorger/ die diensthabende Notfallseelsorgerin alarmiert bei Bedarf ehrenamtliche Mitarbeiter/ Mitarbeiterinnen als Notfallhelfer/ Notfallhelferinnen, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen. 

5. Beirat

Der Beirat berät und fördert das Leitungsteam in allen die NFS betreffenden Fragen, insbesondere 

  • die Auswertung von Einsätzen 
  • Fortbildung 
  • Beratung des jährlichen Rechenschaftsberichtes. 

Er gewährleistet den Informationsfluss zwischen der jeweiligen Organisation und der NFS. 

Zum Beirat gehören neben den Mitgliedern des Koordinierungs- und des Leitungsteams jeweils ein Vertreter/eine Vertreterin der Träger sowie der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der Berliner Feuerwehr, der Berliner Polizei, des Bundesgrenzschutzes, der Verkehrsträger in Berlin, der Bundesanstalt des Technischen Hilfswerkes sowie Fachleute aus dem Bereich Katastrophenschutz. 
Die Mitarbeit weiterer Organisationen, beispielsweise der Rettungsdienste, ist möglich. 

Das Koordinierungsteam lädt in der Regel zweimal im Jahr zu Beiratssitzungen ein. 

6. Arbeitsweise

6.1 Alarmierungsstruktur 

Die Alarmierung erfolgt grundsätzlich über die den Leitstellen von Feuerwehr, Polizei, Rettungsdiensten und Verkehrsträgern bekannte zentrale Notfallseelsorge-Rufnummer. 

Alarmiert wird 

  • aufgrund der Lageeinschätzung der Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdiensten vor Ort 
  • auf Wunsch von Betroffenen 
  • nach Alarmierungsstichwort 


Die Alarmierungsbereitschaft ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr durch den "diensthabenden Notfallseelsorger"/ die "diensthabende Notfallseelsorgerin" gewährleistet. 

Die Anforderung wird durch den diensthabenden Notfallseelsorger/ die diensthabende Notfallseelsorgerin nach dem Regionalprinzip an einen örtlichen Notfallseelsorger/ eine örtlichen Notfallseelsorgerin oder bei Bedarf an einen Notfallhelfer/ eine Notfallhelferin weitergeleitet. 

6.2 Arbeitsweise vor Ort 

Der Notfallseelsorger/ die Notfallseelsorgerin erfüllt seine/ ihre Aufgabe in der Regel im Rahmen einer einmaligen Begegnung. Sollte eine weitere seelsorgerliche Begleitung oder Einsatznachsorge erforderlich sein, stellt er/ sie auf Wunsch die erforderlichen Kontakte her. 

6.3 Dokumentation 

Jeder Einsatz wird unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Belange und der seelsorgerlichen Verschwiegenheit protokolliert. 

6.4 Supervision 

Zur Qualitätssicherung der NFS und zur Bearbeitung von belastenden Ereignissen wird für die in der NFS Tätigen Supervision angeboten. 

7. Kosten

Für die Alarmierenden und für die Betroffenen sind die Einsätze kostenfrei. 

Die Notfallseelsorger/ Notfallseelsorgerinnen arbeiten neben- oder ehrenamtlich. 

Die für Koordination, Ausbildung, Supervision sowie Sachausgaben (Einsatzkleidung, Handies, Fahrtkosten etc.) entstehenden Kosten werden von den Trägern in Zusammenarbeit mit anderen Partnern aufgebracht. Kosten für Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Supervision können von den Trägern entsprechend ihrer Richtlinien bezuschusst werden. 


8. Zusammenarbeit mit anderen Partnern

Die NFS in Berlin arbeitet mit den Rettungsdienstorganisationen in Berlin und Brandenburg zusammen. 
Die NFS in Berlin arbeitet in enger wechselseitiger Kooperation mit dem Projekt NFS/KIT im Land Brandenburg. 
Eine Zusammenarbeit mit weiteren Partnern ist möglich. 

Anhang: Kasseler Thesen vom 5. Februar 1997

Vereinbarung über die Ordnung der Notfallseelsorge in Berlin

Zwischen 
dem Erzbistum Berlin, vertreten durch den Erzbischof, 

und 

der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, vertreten durch den Vorsitzenden der Kirchenleitung, 

wird Folgendes vereinbart: 


1. Zwischen den Beteiligten der Vereinbarung besteht Einvernehmen, dass die kirchliche Notfallseelsorge in Berlin auf der Grundlage der anliegenden Ordnung der Notfallseelsorge in Berlin stattfindet. 

2. Die Beteiligten der Vereinbarung setzen die anliegende Ordnung der Notfallseelsorge jeweils für ihre Kirche in Kraft. 

3. Änderungen dieser Ordnung bedürfen des Einvernehmens der Beteiligten. 

4. Diese Vereinbarung tritt in Kraft, wenn die Beteiligten die Ordnung der Notfallseelsorge in Berlin in Kraft gesetzt haben. Die Vereinbarung kann durch Erklärung gegenüber dem anderen Beteiligten mit einer Frist von drei Monaten zum Schluss eines Kalenderjahres beendet werden. 


Berlin, den 11.9.2002 



Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg 
Bischof Dr. Wolfgang Huber 

Erzbistum Berlin 
Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky